Mittwoch, 20. Mai 2009

Mahler, Sinfonie Nr. 5 - Pierre Boulez



Gustav Mahler
(1860-1911)

Sinfonie Nr. 5

Wiener Philharmoniker
Dirigent: Pierre Boulez

CD: Deutsche Grammophon Gesellschaft 453 416-2


Die originellste Mahler 5. überhaupt. Die Interpretation dieser Sinfonie ist jahrzehntelang hauptsächlich von Bernstein und Barbirolli stark geprägt - schleppend, feierlich, überemotional usw. Aber Boulez macht völlig anders. Alles ist überraschend, schockierend modern - unglaublich transparentes Klangbild, sehr klare Struktur. Jeder Ton ist hörbar. Das Tempo ist schnell, aber sehr stabil. Als Komponist ist Boulez ein sehr problematischer Typ, aber als Dirigent wirklich hervorragend. Die Klangqualität ist auch vortrefflich.


Samstag, 16. Mai 2009

J. S. Bach, Goldberg-Variationen - Glenn Gould



Johann Sebastian Bach
(1685-1750)

Goldberg-Variationen, BWV 988

Glenn Gould, Klavier

LP: CBS IM 37779




"Was aber war gewesen während all der Zeit, in der er das geworden, was er nun war? - Erstarrung; Öde; Eis; und Geist! Und Kunst! ... Er blickte zurück auf die Jahre seit damals bis auf diesen Tag. Er gedachte der wüsten Abenteuer der Sinne, der Nerven und des Gedankens, die er durchlebt, sah sich zerfressen von Ironie und Geist, verödet und gelähmt von Erkenntnis, halb aufgerieben von den Fiebern und Frösten des Schaffens, haltlos und unter Gewissensnöten zwischen krassen Extremen, zwischen Heiligkeit und Brunst hin und her geworfen, raffiniert, verarmt, erschöpft von kalten und künstlich erlesenen Exaltationen, verirrt, verwüstet, zermartert, krank..."

- Thomas Mann, Tonio Kröger


Freitag, 15. Mai 2009

Bruckner, Sinfonie Nr. 8, Eugen Jochum



Anton Bruckner
(1824-1896)

Sinfonie Nr. 8

Staatskapelle Dresden
Dirigent: Eugen Jochum

LP: EMI 2C 167-03402/3


Wer hat eigentlich die beste 8. Sinfonie von Bruckner aufgenommen? Die Antworten auf diese Frage sind sich relativ einig - für die Oldtimer-Liebhaber die legendäre Stereo-Aufnahme von Hans Knappertsbusch (Münchner Philharmoniker, Westminster), und für die Anhänger der Digital-Technik die brillante letzte Aufnahme von Karajan (Wiener Philharmoniker, DGG). Schließlich für die richtigen Hardcore-Bruckner-Freaks die traumhafte, sagenhafte Aufnahme von Carl Schuricht (Winer Philharmoniker, EMI).

Aber für mich? Ohne Zögern die aus der zweiten Gesamtaufnahme von Eugen Jochum. Die meisten Dirigenten dirigieren diese Sinfonie so, dass sie ein breites Tempo nehmen, um die Hörer die erhabene Seite des Werkes genug erfahren zu lassen. Aber Jochum behandelt diese Sinfonie völlig anders. Seine Bruckner 8. 'marschiert' mit voller Wucht. Das Tempo ist ziemlich schnell, und es klingt fast wie eine Improvisation. Dabei spielt der eigentümliche Klangcharakter der Staatskapelle Dresden eine große Rolle. Dieses Orchester ist vor allem wegen seines sehr dynamischen, hemmungslosen Klangs berühmt. Und die beispiellos stark, mächtig klingenden Blechbläser darf man auch nicht vergessen. Aus all diesem resultieren die unvergeßlich spannenden Momente. So spannenden Bruckner habe ich bisher nie gehört.


Mittwoch, 13. Mai 2009

J. S. Bach, Sonaten für Violine und Cembalo, Leonid Kogan und Karl Richter



Johann Sebastian Bach
(1685-1750)

Sonaten für Violine und Cembalo Nr. 1 - 6
BWV 1014 - 1019

Sonate Nr. 1 h-moll BWV 1014

Sonate Nr. 2 A-dur BWV 1015

Sonate Nr. 3 E-dur BWV 1016
Sonate Nr. 4 c-moll BWV 1017
Sonate Nr. 5 f-moll BWV 1018
Sonate Nr. 6 G-dur BWV 1019


Leonid Kogan, Violine
Karl Richter, Cembalo

Ort und Zeit der Aufnahme: München, Januar und Mai 1972,
Studio III des Bayerischen Rundfunks
Produzent: Hans Richard Stracke
Toningenieur: Horst Lindner

LP: Eurodisc 85 935 XK


Gewaltiges Werk und gewaltige Interpreten. Wer hätte das gedacht, dass die zwei Giganten der Musikwelt, der riesenhafte russische Geiger Leonid Kogan und der Inbegriff der Bach-Interpretation Karl Richter zusammen Bach spielen werden? Eine äußerst ungewöhnliche, fast unvorstellbare Kombination! In diesem Fall ist es gar nicht möglich, dass sich der eine in die Interpretation des anderen einmischt. Außerdem stehen die beiden in den völlig anderen Traditionen und jeder von ihnen hat seinen eigenen starken Charakter. Alles kann total schief gehen. Wo soll der interpretatorische Kompromiss stehen?

Kritisches Abhören nach der Aufnahme. Von rechts nach links:
Karl Richter, Leonid Kogan, Horst Linder, Hans Richard Stracke


Diese auf den ersten Blick sehr gefährlich zu sein scheinende Spannung verwandelt sich aber in eine perfekte Harmonie. Das Ergebnis ist; eine unglaublich ernsthafte Interpretation. Alles ist sehr dicht, sehr tief und sehr (im positiven Sinne) spannend. Karl Richter hat schon 1966 mit Wolfgang Schneiderhan dasselbe Werk aufgenommen, aber der damaligen Aufnahme fehlt die Ernsthaftigkeit und Spannung, welche Kogan und Richter hier gnadenlos deutlich gezeigt haben.

Ich kenne keine zweite Aufnahme, in der die Zusammenarbeit der Weltklassenmusiker so ernsthaft und spannend erscheint. Eine wirklich monumentale Einspielung der ganzen Aufnahmegeschichte.

P.S. ... Als der Termin für die nächste Sitzung bekanntgegeben wurde, wandte sich Richter mit gespielter Mißbilligung an seinen Kollegen: "Haben Sie gehört, Herr Kogan, morgen früh um 10 Uhr. Wie klingt denn Bach um 10 Uhr morgens?" Kogan schaltete blitzschnell, mit der Solidarität des durch skrupellose Schallplattengesellschaften in Ost wie West ausgebeuteten Musikers. "Bach klingt überhaupt nicht um diese Zeit", war in fließendem Deutsch sein lakonischer Kommentar. Die nächste Sitzung begann nachmittags um 16 Uhr. - Hans Richard Stracke



Dienstag, 12. Mai 2009

Mozart, Sinfonia Concertante Es-dur KV 364 - Walter Barylli, Paul Doktor



Wolfgang Amadeus Mozart
(1756-1791)

Sinfonia Concertante Es-dur für Violine, Viola und Orchester KV 364

Walter Barylli, Violine
Paul Doktor, Viola
Orchester der Wiener Staatsoper
Dirigent: Felix Prohaska

LP: Westminster XWN 18041


Eine der schönsten Sachen in dieser Welt ist, die Wiener Musiker der 50er Jahren zu hören. Walter Barylli war der Inbegriff dieser Epoche und des damaligen musikalischen Typus. Als ein gebürtiger Wiener war er Konzertmeister der Wiener Philharmoniker, der Gründer und Leiter des Brarylli-Quartetts und Professor an der Wiener Musikhochschule. Gott sei Dank hat er in den 50er Jahren hauptsächlich bei Westminster eine Menge Platten aufgenommen, aber leider Gottes sind die meisten von diesen Originalplatten heutzutage relativ schwer zu finden (außerdem meistens schlecht erhalten), und vor allem ziemlich teuer.

Seine wichtigsten Repertoires waren unter anderem die Kammermusik von Mozart, Beethoven und Schubert. Diese Aufnahme mit den ebenso aus Wien stammenden Musikern Paul Doktor und Felix Prohaska (das Orchester ist auch ein Wiener Orchester!) ist eines der besten Ergebnisse seines musikalischen Schaffens. All die typischen wienerischen Elemente kann man in ihr finden - Natürlichkeit, Warmherzigkeit, Lebensfreude, aber auch Eleganz. Meiner Meinung nach sind diese schönen Dinge selbst bei den heutigen Wiener Musikern schon längst verloren gegangen. Deswegen wundern sich die Hörer unserer Zeit immer darüber, dass damals solches Musizieren möglich war. Können wir Musik wieder so machen?


Samstag, 9. Mai 2009

Mozart Violinsonaten - Rafael Druian, George Szell



Wolfgang Amadeus Mozart
(1756-1791)

Vier Sonaten für Klavier und Violine

Sonate F-dur KV 376
Sonate G-dur KV 301
Sonate e-moll KV 304
Sonate C-dur KV 296

George Szell, Klavier
Rafael Druian, Violine

LP: Columbia MS 7064


Wenn es um die Violinsonaten von Mozart geht, denkt man normalerweise fast automatisch an die wohl berühmte Aufnahme von Arthur Grumiaux und Clara Haskil. Es ist wahr, dass diese Aufnahme der beiden legendären Interpreten eigentlich keine Konkurrenten hat. So mächtig war und ist sie, so stark sind die meisten Hörer von ihr geprägt. Daher hat sie über 50 Jahre lang den ersten Platz niemals verloren.

Aber mir scheint die Interpretation von Grumiaux im Großen Ganzen zu schmeichelnd und prachtvoll zu sein. Dieser Eindruck wird umso großer, wenn es sich insbesondere um Mozart handelt, obwohl er hauptsächlich als Mozart-Interpret bekannt war. Es wäre nicht ganz falsch, wenn man so behauptet, dass sein Mozart keine pathetische Seite, allerdings im positiven Sinne, kennt.

Meine persönlichen Favoriten sind die typisch wienerische, altmodische aber wirklich fantastische Einspielung von Walter Barylli mit Paul Badura-Skoda, und die ernsthafte Zusammenarbeit von Joseph Szigeti mit George Szell und Mieczyslaw Horszowski.

Aber trotz all dieser hervorragenden Einspielungen wenn ich nur eine Aufnahme wählen soll, greife ich ohne Zögern die von Rafael Druian mit George Szell. Er war in den 60er Jahren der Konzertmeister des Cleveland Orchestra unter Szell. Natürlich ist es klar, dass er niemals ein weltberühmter Geiger war, aber mindestens zeigt seine Mozart-Interpretation eine erstklassige Musikalität. Der Charakter seiner Interpretation ist schwer zu definieren. Tatsachlich findet man nicht leicht eine bestimmte Eigenschaft. Ich würde sagen, dass sein Mozart, trivial gesagt, einfach neutral ist. Aber dies bedeutet gleichzeitig, dass es nicht einseitig ist. Sein Mozart ist vielfältig wie Mozarts Musik selbst. Seine Interpretation bleibt hinter dem Komponisten zurück und kennt keine Momente, in denen er sich selbst stark behauptet. Das heißt, Druian gleicht die vielfältige Momente der mozartschen Musik nicht aus. Dies kann man besonders in e-moll Sonate gut erfahren.


Bruckner Sinfonie Nr. 9 - Otto Klemperer



Anton Bruckner

(1824-1896)

Sinfonie Nr. 9 d-moll
(Nowak Edition)

New Philharmonia Orchestra
Dirigent: Otto Klemperer

LP: HMV ASD 2719


Eine der letzten Aufnahmen von Otto Klemperer. Sein Name ist synonym zu Autorität der spätromantischen Musik, daher habe ich nicht viel zu sagen. Klemperer hat mit dem Philharmonia Orchestra oder New Philharmonia Orchestra die 4., 5., 6., 7., 8. und 9. Sinfonie von Bruckner aufgenommen, von denen die 4. und 6. besonders berühmt und beliebt sind.

Seine Aufnahme der 9. Sinfonie ist relativ wenig bekannt, und wurde nicht viel aufgelegt. Allgemein gesagt, besitzt Klemperers Bruckner-Interpretation keinen starken eigenen Charakter. Anders als die anderen wichtigen Bruckner-Dirigenten, welche die jeweils sehr originelle Interpretation gezeigt haben, etwa wie Knappertsbusch, Jochum oder Karajan, geht Klemperer mit Bruckner etwas zurückhaltend um. Diese Tatsache ist eigentlich erstaunlich, wenn man schon weiß, wie Klemperer die Werke der anderen Komponisten, z. B. Bach, Beethoven, Mozart, Mendelssohn, insbesondere Tchaikowski oder Berlioz, behandelt hat.

Seine solche interpretatorische Zurückhaltung kann man besonders in dieser Aufnahme der 9. Sinfonie deutlich erfahren. Alles ist sehr ruhig, gelassen. Präzise Details, starken Kontrast oder seelische Wucht gibt es nicht. Es ist eher erzählerisch, aber nicht so sehr wie bei Knappertsbusch. Die Stabilität, auf die Klemperer stets großen Wert gelegt hat, die man eigentlich in all seinen Aufnhamen, natürlich auch in seinen anderen Brucker-Aufnahmen finden kann, fehlt hier. Wenn man insbesondere die Coda des ersten Satzes, die für mich eine sehr wichtige Stelle dieser Sinfonie ist, kann man verstehen, was ich meine.

Aber trotzdem hat diese Einspielung eine ungeheure Anziehungskraft. Wirklich hervorragend ist der dritte Satz. Im dritten Satz ist alles, trotz des Mangels an der äußeren Stabilität, ertaunlich "einheitlich". Hier weiß Klemperer ganz genau, woher die Musik kommt, wohin geht. Es gibt keine einzige Stelle, in der man merkt, dass der Dirigent seinen Weg verloren hätte, wie man nicht selten in den einigen Bruckner-Einspielungen anderer Dirigenten erfahren kann. Wie ein erfahrener Wegweiser führt Klemperer den Hörer zum Kosmos der brucknerschen Musik.

Außer der Musik selbst gefällt mir besonders das Coverbild sehr. Die Abstraktheit des Bildes entspricht dem Charakter der brucknerschen Musik sehr gut. Vom äußeren Stil her sieht es wie ein Werk von Magritte aus.

Wenn jemand bisher Bruckner genug gehört haben sollte, lohnt es sich auf jeden Fall, einmal diese Aufnahme in die Hand zu nehmen.


Ravel, Daphnis et Chloé, suite n°2 - Herbert von Karajan



Claude Debussy
(1862-1918)

La mer

Prélude à l'après-midi d'un faune

Maurice Ravel
(1875-1937)

Daphnis et Chloé, suite n°2


Kalheinz Zöller, Soloflöte
Berliner Philharmoniker
Dirigent: Hebert von Karajan

LP: Deutsche Grammophon Gesellschaft SLPM 138 923


Eine atemberaubende Aufnahme. Völlig anders als die meisten französischen Dirigenten, also z. B. Pierre Monteux, Charles Munch, Jean Martinon, auch Pierre Boulez, zeigt Karajan eine einzigartige, sich stark behauptende Interpretaion. Bei Karajan geht es nicht primär um den Rhythmus, sondern hauptsächlich um das Detail. Das Ergebnis klingt so, als ob er mit einem extrem feinen Messgerät jeden Klang des Orchesters genau kalkuliert hätte. Die sich daraus ergebende Perfektion ist einfach überwältigend. Wenn man verstehen will, was die "Visualisierung des Klangs" eigentlich bedeuten soll, muss man unbedingt diese Aufnahme in die Hand nehmen. Ich bin davon völlig überzeugt, dass nur Karajan solches machen konnte.

Auch Die Klangqualität selber ist sehr beeindruckend. Der Klang ist außerordentlich dicht, wie ein Ölgemalde, daher wird die Farbigkeit des Klangs richtig vermittelt und es passt gut zu dem Charakter des Werkes und der Interpretation Karajans. Lediglich ist der Schalldruck etwas niedrig, d. h. man sollte die Lautstarke etwas erhöhen als im Normalfall.


Sibelius Violinkonzert - David Oistrach



Jean Sibelius
(1865-1957)

Violinkonzert d-moll op. 47
Der Schwan von Tuonela op. 22

David Oistrach, Violine
The Philadelphia Orchestra
Dirigent: Eugene Ormandy

LP: Columbia MS 6157


Ja klar, es gibt unzählige Aufnahmen für dieses wohl bekannte Violinkonzert, aber für mich ist diese Aufnahme von großer Bedeutung, und gleichzeitig die beste. Die berühmteste Aufnahme für dieses Werk ist natürlich die von Camila Wicks, die mit Sibelius gut befreundet war. Oder die Heifetz' Einspielung mit Thomas Beecham wird besonders von britischen Kritikern häufig empfohlen. Henryk Szeryng hat auch eine sehr beeindrucksvolle Aufnahme hinterlassen, und vor allem die karismatische Einspielung von Georg Kulenkampff darf man nicht vergessen. Es ist auch undenkbar, die legendäre Ginette Neveau außer Acht zu lassen. Und in den 90er Jahren hat Anne-Sophie Mutter einen neuen Maßstab gesetzt.

Trotz all dieser mächtigen Konkurrenten ist mir diese Oistrachs Aufnahme der Inbegriff für dieses Werk, und das beste Ergebnis seines künstlerischen Schaffens. Der Grund ist der, dass die gesamte musikalische Erscheinung unglaublich 'poetisch' ist. Nicht nur die Musik der beiden Meister, Oistrach und Ormandy, sondern auch der Klang an sich, der hauptsächlich durch die Technik des Tonmeisters erzeugt wurde, stellt uns ein außergewöhnlich natürliches, poetisches Klangbild vor. Es ist wahr, wie die meisten Stereoaufnahmen in den 50er Jahren, dass diese Aufnahme auch einige typische Merkmale der damaligen Aufnahmetechnik zeigt; die überdeutliche Kanaltrennung, das hervorgehobene Solo-Part usw. All diese könnten die Natürlichkeit des Klangs gefährden, tatsächlich sehen wir nicht selten solche Fälle. Aber trotz der Anwendung solcher heutzutage fast wie ein Tabu gewordenen Technik ist in dieser Aufnahme keine einzige Stelle zu finden, die mit Übertreibung etwas zu tun hat. Ganz im Gegenteil. Alles steht unter voller Harmonie und Natürlichkeit, aber gleichzeitig überwältigt uns die Musik sehr dramatisch. Es gibt viele andere Aufnahmen, die mehr Dynamik, mehr Auflösung anbieten, aber im Großen und Ganzen kenne ich sehr wenige, die ein so poetisches Klangbild, das man in dieser Aufnahme deutlich erfahren kann, uns vorstellen. Diese Platte ist das beste Beispiel dafür, wie wichtig die Rolle des Tonmeisters ist, und welche großartigen Dingen er in der Aufnahme tatsächlich leisten kann. Und das Coverbild entspricht der Atmosphäre der Musik ziemlich gut. Einfach eine wunderschöne Platte.


J. S. Bach "Die Kunst der Fuge" - Glenn Gould



Johann Sebastian Bach
(1685-1750)

Die Kunst der Fuge

Contrapunctus I - IX


Glenn Gould, Orgel
(auf der Casavant Orgel in All Saints' Kirche, Kingsway, Toronto, Canada)

LP: Columbia MS 6338


Immer wenn ich diese Aufnahme höre, frage ich mich, ob man Bach auf der Orgel so spielen darf. Glenn Gould war ein sehr umstrittener Bach-Interpret. Wenn er Bach am Klavier spielt, ignoriert er die polyphone Struktur, welche die Wesenheit der bachschen Musik ausmacht. Daher ist es gefährlich, seine Bach-Interpretation als die Standard-Interpretation anzunehmen.

Dann wie ist es auf der Orgel? Zuerst sollte man bedenken, dass Gould kein richtiger Organist war, obwohl er Orgelspiel studiert hatte. Er war kein Helmut Walcha oder Karl Richter. "Als ein beinahe Hobbyorganist spielt der umstrittene Gould das tiefsinnigste Werk von Bach."- es bedarf keiner weiteren Erklärung darüber, was das bedeuten soll.

Aber trotzdem höre ich diese Aufnahme gerne. Sogar sehr gerne. Auf der Orgel spielt er Bach genau so wie am Klavier, aber wegen des wesentlichen Unterschiedes zwischen den beiden Instrumenten wirkt seine eigentümliche Spielart etwas anders als am Klavier. Genauer gesagt, verhindert seine typische staccatoähnliche Artikulation einigermaßen die Verschmelzung einer Stimme zu den anderen. Diese eigentlich für Polyphonie nicht geeignete Spielart, weil sie das schwierig macht, die einzelnen Töne zu einer Einheit, d. h. zu einer selbstständigen Stimme zu bringen, verliert ihre Nachteile bis zu einem gewissen Grad mit Hilfe der Eigenschaft der Orgel, nämlich verschiedener Klangfarben jeder Lage. Daher kann man die einzelne Stimme etwas deutlicher erkennen als in der normalen Orgelspielart. Das Resultat ist; das saubere Klangbild und die fassbare musikalische Struktur.

Außerdem steigert das etwas schnelle Tempo die Spannung des Werkes, daher wird der Hörer nicht gelangweilt. Für ein Werk wie die Kunst der Fuge wirkt dies ziemlich vorteilhaft.

All dies kann man deutlich erfahren, wenn man insbesondere den neunten Kontrapunkt hört. Außerdem spielt Gould diesen Kontrapunkt mit voller Wucht, daher bekommt man einen ziemlich überwältigenden Eindruck. Eine durchaus empfehlenswerte Aufnahme.